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Sozialkritischer Zürich-"Tatort":Illegal in der teuersten Stadt der Welt - n-tv NACHRICHTEN

Eine ganz gewöhnliche Zwei-Zimmer-Wohnung kostet in Zürich so viel wie das Gehalt eines deutschen Krankenpflegers, umgerechnet rund 1800 Euro. Schweizer Sozialhilfeempfänger bekommen gerade mal halb so viel - und es geht noch deutlich schlimmer.

Kommissarin Grandjean (Anna Pieri Zuercher) fühlt sich in Zürich nicht wohl. Zu künstlich, zu teuer und vor allem zu ungerecht ist der "Tatort"-Ermittlerin die größte Stadt der Schweiz. Besonders zu schaffen macht der Tochter aus einer Arbeiterfamilie eine Begegnung mit einem Obdachlosen: "Heute morgen liegt ein Mann in meinem Hauseingang. Unter den Briefkästen, im Schlafsack, auf einem Stück Karton. Ist kalt draußen, minus fünf Grad. Ich bleibe stehen, schaue ihn an: Auf so etwas ist man in Zürich nicht vorbereitet. (…) Noch einmal hochgehen, Kaffee kochen, ein Stück Brot, ihm 10 Franken geben? Aber das reicht nicht für ein Frühstück in Zürich. Also 20? Ich bin zur Arbeit gegangen."

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Immer wieder gibt es - so wie hier in Basel - Proteste gegen die Illegalisierung der "Sans-papiers".

(Foto: picture alliance/KEYSTONE)

In "Schoggiläbe", dem zweiten Fall des Schweizer "Tatort"-Teams, teilen die Hauptdarsteller gleich mehrere solcher inneren Monologe mit den Zuschauern. Und die Botschaft ist klar: Das soziale Gefälle in Zürich ist mindestens so steil wie die vielen Drei- und Viertausender des Landes. Im Film liegen Arm und Reich ganz besonders nah beieinander: Eine unsichtbare Armada von unterbezahlten und (häufig) schwarz beschäftigten Bediensteten putzt tagsüber die protzigen Stadtvillen der Reichen oder muss sich der Zürcher Elite als Lustsklaven andienen - und kehrt nachts in die feuchten Keller der heruntergekommenen Mietshäuser zurück, die sie mangels Alternativen ein Zuhause nennen.

Tatsächlich hat die einflussreiche britische Wochenzeitung "Economist" Zürich im vergangenen Jahr zur teuersten Stadt der Welt erklärt, noch vor Singapur und Tel Aviv: Ein frisch gezapftes Bier kostet Durstige in der Limmatstadt im Schnitt sechs Euro, ein Besuch im Friseursalon schlägt mit rund 75 Euro zu Buche - und für eine gewöhnliche Zwei-Zimmer-Wohnung müssen Zürcher schier unvorstellbare 1800 Euro hinblättern, das Nettogehalt eines deutschen Krankenpflegers.

Rechtlos unterwegs als "Sans-papiers"

Wer sich das alles leisten kann, ohne dabei auf den Rappen zu schauen, kann das Leben in der Alpenrepublik in vollen Zügen genießen - alle anderen müssen ein Leben am Rande des Existenzminimums stemmen. Und das sind nicht gerade wenige: Knapp acht Prozent der rund 400.000 Zürcher sind "Armutsbetroffene", wie Sozialhilfeempfänger in der Schweiz genannt werden. Ihnen stehen 991 Franken monatlich zur Verfügung, also nicht einmal die Hälfte dessen, was eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Stadt kostet. Und doch sind die "offiziellen" Armen der Stadt im Vergleich zu den "Sans-papiers" in einer vergleichsweise komfortablen Situation.

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"Viele Armutsbetroffene haben entweder keinen Anspruch auf staatliche Leistungen wie Prämienverbilligung und Sozialhilfebeiträge oder sie befürchten, ihren Aufenthaltsstatus zu gefährden, wenn sie solche Leistungen beziehen", analysiert Carlo Knöpfel für das Schweizer Portal tsri.zh die Lage. Der Professor für Sozialpolitik meint damit die 80.000 bis 300.000 Menschen, die Schätzungen zufolge ohne Papiere, also illegal, in der Schweiz wohnen. Etwa 10.000 bis 30.000 von ihnen, genaue Zahlen gibt es nicht, leben in Zürich: Sie arbeiten illegal in Privathaushalten, im Gastgewerbe oder auf dem Bau - oft unterbezahlt und unter prekären Bedingungen, in ständiger Angst, aufgegriffen und ausgewiesen zu werden.

Anders als in Deutschland gibt es für die "Sans-papiers" noch nicht einmal den vielfach umstrittenen Duldungsstatus, der zumindest über die Arbeitsmarktintegration eine Bleibeperspektive eröffnet. Wer aber in der Schweiz ohne Papiere lebt und arbeitet, steckt tatsächlich bis auf ganz wenige Ausnahmen in einer gelebten Zwei-Klassen-Gesellschaft fest: Endlose Schlangen vor Essensausgabestellen haben das seit Beginn der Corona-Krise noch einmal überdeutlich gemacht. "Schoggiläbe" zeigt das in aller Deutlichkeit und spart dabei nicht an Systemkritik. Ob sie bei den Richtigen ankommt, bleibt allerdings abzuwarten.

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