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DFB über Infantino „verstört“: FIFA, hör die Signale! - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Frage ist zweifellos eine sehr konkrete der qatarischen WM – und trotzdem wirkte sie wie aus Zeit und größerem Kontext gefallen, als Bernd Neuendorf sich am Freitagmittag zu ihr äußern sollte. Berichte in dieser Causa hatte es schon vorher gegeben, doch während Neuendorf die Eröffnungspressekonferenz des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) auf dem Trainingsgelände Al-Shamal in der Nähe des Teamquartiers im Norden des Emirats bestritt, wurde es dann auch offiziell: Es gibt kein Bier in Qatar, jedenfalls nicht, wie eigentlich geplant, in bestimmten Zeitfenstern rund um die Stadien, sondern lediglich in den Fanzonen.

Das teilte der Internationale Fußballverband (FIFA) mit, der sich damit offenbar dem Druck des Ausrichters beugen musste. Neuendorf, der ansonsten eine gute halbe Stunde rhetorisch trittsicher durch den Parcours der brisanten Themen rund um die am Sonntag beginnende Weltmeisterschaft kurvte, vermied in dieser Angelegenheit eine inhaltliche Antwort. Er müsse sich „den Vorgang genau anschauen“, sagte der DFB-Präsident, eine „voreilige Kommentierung aufgrund einer Tickermeldung“ wollte er nicht vornehmen.

Wer Druck auf wen macht, das wird noch ziemlich interessant bei dieser WM – das wurde in Neuendorfs Ausführungen immer wieder greifbar, und da wird es um weit mehr als nur die Bierfrage gehen. Gewiss könnte er davon noch ein ganz anderes Lied singen, wenn er alles preisgeben würde, was im Hintergrund geschieht – und auf welchen Ebenen. Die Verstimmung etwa, die im politischen Qatar über Deutschland und die von dort wahrgenommene Dauerkritik herrscht, hat er persönlich zu spüren bekommen, als er kürzlich mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser das Emirat besuchte.

„Ein wirkliches Zeichen“

Am Freitag nun präsentierte der DFB-Präsident ein Projekt, mit dem der Verband nicht nur ein Zeichen setzen, sondern auch etwas Handfestes zum Thema Arbeitsmigration leisten will. Über fünf Jahre soll insgesamt eine Million Euro aus den Mitteln der DFB-Stiftung Nationalmannschaft in ein SOS-Kinderdorf in Nepal fließen – Geld von den Spielern, das diese zusätzlich in die Stiftung geben. Das Ziel: Bildung schaffen und damit Migrationsdruck nehmen. „Wir wollen da unterstützen, wo die Menschen herkommen“, sagte Neuendorf.

400.000 nepalesische Wanderarbeiter gebe es in Qatar, und an den Ursachen zu rühren, sei „ein wirkliches Zeichen“ und „nachhaltig“. Allerdings ist es eben auch keines in Qatar selbst, sondern gewissermaßen auf dem Weg dorthin. Die Frage, ob das womöglich bewusst entschieden worden sei, um aktuelle Konflikte, auch auf höherer politischer Ebene, nicht weiter anzuheizen, wies Neuendorf entschieden zurück. „Ich denke nicht, dass das so interpretiert werden kann“, sagte er und verwies auf den Findungsprozess, der schon vor der brisanten Ministerreise stattgefunden habe.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf unterhält sich mit Innenministerin Nancy Faser während ihres Aufenthalts in Doha.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf unterhält sich mit Innenministerin Nancy Faser während ihres Aufenthalts in Doha. : Bild: dpa

Wie weit kann man gehen? Das könnte noch die Gretchenfrage dieser politisierten WM und des deutschen Beitrags dazu werden. Auf einer anderen Ebene ging Neuendorf ganz explizit und offenkundig gerne in die Offensive. Manches in der FIFA unter ihrem Präsidenten Gianni Infantino habe ihn zuletzt „irritiert“, ja, sogar „verstört“, sagte Neuendorf und nannte dessen Brief an die Verbände mit der Aufforderung, den Fokus auf den Fußball zu legen, und das Verbot der dänischen Trainingsshirts mit dem Aufdruck „Human Rights for All“ (Menschenrechte für alle).

Deshalb habe der DFB in seinem Präsidium einstimmig beschlossen, Infantino nicht für die Wiederwahl als FIFA-Chef im März 2023 zu nominieren. „Wir haben so entschieden, weil wir glauben, ein Zeichen setzen zu müssen“, sagte Neuendorf. Das wird am Ausgang der Wahl in Ruandas Hauptstadt Kigali nichts ändern, vier von fünf Kontinentalverbände unterstützen Infantino, der als einziger Kandidat antritt, aber zumindest in Europa, das machte Neuendorf deutlich, weht ein anderer Wind.

Diese Kapitänsbinde wird Manuel Neuer bei der WM in Qatar tragen, sie trägt die Aufschrift „One Love“.

Diese Kapitänsbinde wird Manuel Neuer bei der WM in Qatar tragen, sie trägt die Aufschrift „One Love“. : Bild: dpa

Den will sich Neuendorf auch in der Frage eines anderen europäischen Gedankens nicht aus den Segeln nehmen lassen. Von den ursprünglich zehn Verbänden, die in Qatar die bunte „One-Love“-Binde tragen wollten, war zuletzt Frankreich in Person seines Kapitäns Hugo Lloris abgesprungen, die Engländer hingegen kündigten an, dass sie auch im Falle einer Geldstrafe durch die FIFA nicht von ihrer guten Absicht abzubringen seien.

Dem folgte auch Neuendorf, der die bunte Binde ebenso wie das von den Dänen verbale Bekenntnis zu den Menschenrechten nicht als politische – und damit laut FIFA-Statuten unzulässige – Botschaft im eigentlichen Sinn versteht.

Erstes Turnier als Präsident

„Das ist keine politische Entscheidung, die man so oder so treffen kann.“ Neuendorf verteidigte die Binde damit auch gegen Kritik: Sie strahle für ein größeres Spektrum als der Regenbogen, beispielhaft auch für die Frauen im WM-Teilnehmerland Iran, deren Streben nach Freiheit und Gleichberechtigung gewaltsam unterdrückt wird – ohne dass die FIFA sich zu einer Stellungnahme bemüßigt sieht. „Ganz generell sollte man dazu Position beziehen. Die sehr mutigen Frauen im Iran verdienen jede Aufmerksamkeit und Unterstützung“, sagte Neuendorf und ging auch in diesem Punkt in Opposition zu Infantino.

Für Neuendorf ist es das erste Turnier als Präsident. Auch vor vier Jahren in Russland hatte die Eröffnungspressekonferenz stark im politischen Schlaglicht gestanden, damals ging es um Özil, Gündogan und die Aufnahmen mit dem türkischen Staatschef Erdogan. Der Wunsch des DFB, diese Debatte mit präsidialen Worten, damals von Reinhard Grindel, zu beenden, bevor der Ball rollt, ging bekanntlich nach hinten los.

Diesmal deutete Neuendorf – wenn auch zart – an, dass weitere Zeichen während der WM folgen könnten. „Die Spieler“, sagte er, „haben ein sehr gutes Sensorium für die Situation, in der wir uns neben dem Fußball befinden.“ Und auf dem Platz? Dazu hatte Neuendorf auch eine Prognose, eine ziemlich forsche obendrein. Das Team werde gegen Japan „sicherlich gewinnen“. Das hat 2018 vor dem ersten Spiel niemand so gesagt – aber alle ziemlich fest geglaubt.

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