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Deutsche Nationalmannschaft- Überraschung: Löw steht im Kader - Süddeutsche Zeitung - SZ.de

Auf diese Idee ist Joachim Löw nicht gekommen. Oder hatte er die Idee vielleicht auch, und er hat sie nur verworfen? Er hat 22 Feldspieler und vier Torhüter nominiert für das vorletzte Aufgebot seiner Bundestrainer-Karriere, sehr klassisch, so viele Leute braucht man eben für drei Länderspiele innerhalb einer Woche. Der Kollege Franco Foda hingegen, Trainer der österreichischen Nationalauswahl, hat 43 Spieler einberufen, dreiundvierzig, das ist möglicherweise Weltrekord. Allerdings werden Österreichs Gegner nun nicht in Windeseile extralange Ersatzbänke herstellen müssen, Foda wird nicht mit 43 Mann verreisen. Er hat den Kader in dieser nicht handelsüblichen Übergröße eher vorsichtshalber bestellt, er reagiert damit auf die ausgesetzte Abstellungspflicht; aufgrund der aktuellen Corona-Bestimmungen könnten sich zum Beispiel die deutschen Vereine weigern, ihre österreichischen Nationalspieler zum Länderspiel nach Schottland zu schicken. Und da tragende Teile der österreichischen Nationalmannschaft aus Bundesligaspielern bestehen, sah sich Foda zu dieser Art von Notwehr gezwungen.

43 Spieler: Was hätte Jogi Löw damit anfangen können! Er hätte Thomas Müller, Mats Hummels, Jérôme Boateng, Sami Khedira, Mario Götze und vielleicht Marcel Schmelzer zurückholen können, er hätte Miroslav Klose mal fragen können, ob er noch fit ist; wahrscheinlich wäre auch noch ein Spieler von seinem heimatlichen SC Freiburg drin gewesen. Löw hätte auch Julian Draxler und Julian Brandt nicht aus dem Kader streichen müssen, er hätte irgendwo in den hinteren Ecken noch ein warmes Plätzchen für sie gefunden.

Die Frage ist natürlich: Wollte er das überhaupt?

Wenn Joachim Löw seine Aufgebote herausgibt, fallen sie umgehend in die Hände der Exegeten, jeder Winkel wird ausgeleuchtet, jedes Fernbleiben eines nachrangigen Rechtsverteidigers interpretiert (in diesem Sinne: Thilo Kehrer fehlt im aktuellen Kader ebenfalls). Aber der Kader, den der Bundestrainer an diesem Freitag veröffentlichen ließ, war mit besonders großer Spannung erwartet worden, unter anderem, weil man immer noch nicht genau wusste, ob die DFB-Elf nach dem endzeitartigen 0:6 in Spanien überhaupt noch am Leben ist. Aber ja, es gibt sie noch, die Mannschaft, die auf den originellen Kosenamen "Die Mannschaft" hört. "Wir wollen mit einem Ausrufezeichen in das EM-Jahr starten und unseren Fans wieder Freude machen", ließ Löw vor den WM-Qualifikationsspielen gegen Island (25. März), in Rumänien (28. März) und gegen Nordmazedonien (31. März) sicherheitshalber noch mal ausrichten.

Aber natürlich war von diesem Kader deutlich mehr als ein bloßes Lebenszeichen erwartet worden: Würde Löw nach seiner Rücktrittsankündigung seinen Stil ändern, würde er radikaler als bisher den Leistungsgedanken betonen und dem ein oder anderen Weggefährten die Solidarität aufkündigen? Oder würde er auch diesen Kader in Ausbildungszwecke nehmen und Spieler darin auftauchen lassen, die ihre beste Zeit mutmaßlich erst bei der EM 2024 in Deutschland erreichen?

Löw belohnt Younes mit einer Einladung

08 10 2017 xpsx Fussball WM Qualifikation Deutschland Aserbaidschan emspor v l Amin Younes; Amin Younes

Die Antwort muss einstweilen "sowohl als auch" lauten. Löw hat Draxler, Brandt und Kehrer neben dem traditionell verletzten Marco Reus aus dem Manuskript herausredigiert und durchaus konsequent auf bestenfalls durchwachsene Saisonleistungen reagiert; im Gegenzug hat er die ausgezeichneten Leistungen des Frankfurters Amin Younes mit einer Einladung belohnt. Aber Löw hat auch den 17-jährigen Florian Wirtz und den 18-jährigen Jamal Musiala dazu gebeten, Talente, deren Begabung er auf eine Zukunft hochrechnet, die erst mal kommen muss. Im Fall Musiala darf man die Nominierung als eine Art emotionalen Deal verstehen: Erst kürzlich hatte Löw den jungen Bayern-Spieler überzeugt, künftig nicht mehr für die englische, sondern für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen, nun unterstreicht er die Verabredung demonstrativ mit einer Nominierung. Technisches Detail am Rande: Würde Musiala in einer der drei anstehenden Pflichtspiele auch nur für eine Sekunde eingesetzt, wäre er für Deutschland festgespielt, wie das im Fußballbehördendeutsch heißt. Er könnte dann nicht mehr zurück.

In diesem Sinne ist Löw seinem Stil, sicherlich auch vernünftigerweise, bis zum Schluss treu geblieben: Er hat im März noch keine endgültigen Härten demonstriert und keine endgültigen Versprechungen gemacht, nichts jedenfalls, was ihn für die Zusammenstellung seines EM-Kaders Ende Mai limitieren würde. Die Rückkehrer Thomas Müller und Mats Hummels würden im Moment nur die Schlagzeilen dominieren und den anderen Kadermitgliedern im Licht stehen, Löw kennt sie, er kann sie im Fall der Fälle problemlos integrieren. Und auch die äußeren Umstände haben es ihm erlaubt, für die drei März-Spiele auf eine wilde Kadermischung zu verzichten: Das Gesundheitsamt am Spielort Duisburg hat den England-Profis Ilkay Gündogan, Timo Werner, Antonio Rüdiger, Kai Havertz und Bernd Leno nun doch eine Einreisegenehmigung erteilt, trotz der Einstufung des Vereinigten Königreichs als Virusvarianten-Gebiet. Diese Zustimmung sei jedoch "an äußerst strenge zusätzliche Auflagen an den Deutschen Fußball-Bund" gebunden, teilte der DFB mit; die betroffenen Spieler müssten auch "innerhalb der bereits bestehenden Blase intern noch mal" von den restlichen Akteuren getrennt werden. Hätte Löw in den beiden Heimspielen auf seine Engländer verzichten müssen, hätte er sie auch fürs Spiel in Rumänien nicht berufen; er hätte seinen Kader weiter als geplant öffnen oder Draxler, Brandt und Kehrer eben doch holen müssen. Nun konnte er die Zeichen setzen, die er wollte.

Löw hat die Stimmung ein bisschen gedreht

Dem Bundestrainer wird es ganz recht sein, wenn die Interpretatoren nun kritisch seinen Kader untersuchen, vielleicht hofft er, dass sie das offensichtlichste Detail dabei übersehen. Die größte Überraschung ist ja immer noch, dass auch Jogi Löw im Kader steht. Spätestens nach dem 0:6 in Spanien schien sein Haltbarkeitsdatum überschritten zu sein, aber die Uneinigkeit an der Spitze des Verbandes hat ihm dabei geholfen, im Amt zu bleiben. Ein enorm wackliges Konstrukt war das: Ein Trainer mit schlechten Umfragewerten sollte ein Team mit schlechten Umfragefragewerten zu einem Turnier und dann mit möglichst großer Autorität auch noch durch dieses Turnier hindurch führen, mit der doppelten Hypothek eines 0:6 gegen Spanien und eines bemerkenswert blamablen Scheiterns bei der WM 2018. Zwar hat Löw durch die überfallartige Ankündigung, nach dem Turnier zurückzutreten, die Stimmung wieder ein bisschen gedreht, die wichtigen Leute in der Branche haben sich mit ihm solidarisiert und ihm vorab schon mal ein paar Hymnen aufs Lebenswerk gesungen - aber Löw weiß, dass die letzte Patrone, die er da gezückt hat, eben die letzte Patrone ist. Deshalb wird es in den nächsten anderthalb Wochen nicht nur um die Spieler gehen, die Löw nominiert hat. Es geht auch und vor allem um den Mann, der sie nominiert hat.

Der Bundestrainer muss nicht befürchten, dass er zum lame Löw wird, seine Spieler schätzen ihn, sie haben kein Interesse daran, dem scheidenden Coach auf der Nase herumtanzen. Die Gefahr, die ihm droht, ist banaler und realer: Er folgenden nun drei Spiele, bei denen die Öffentlichkeit noch kritischer auf die Ergebnisse schauen wird als bisher. Und die Drei-Spiele-Kampagne beginnt am Donnerstag gleich mit einer Partie gegen die wehrhaften Nordmänner aus Island, deren Fußball so stachelig sein kann wie ihre Bärte. Nach dem 0:6 in Spanien weiß Löw sehr genau, dass es im Falle einer Niederlage andere Themen geben wird als die Nominierung von Jamal Musiala.

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