Roglic stürzt, Schachmann siegt
Von Felix Schönbach
Das Podium des 79. Paris-Nizza, v.l.: Aleksandr Vlasov (Astana - Premier Tech), Maximilian Schachmann (Bora - hansgrohe), Ion Izagirre (Astana - Premier Tech) | Foto: Cor Vos
14.03.2021 | (rsn) - Auf der Schlussetappe von Paris-Nizza überschlugen sich die Ereignisse: Der Gesamtführende Primoz Roglic (Jumbo-Visma) stürzte zweimal und verlor den Kontakt zum Feld. Plötzlich übernahm Maximilian Schachmann (Bora - hansgrohe) die virtuelle Führung und musste die Angriffe von Aleksandr Vlasov und Ion Izagirre (beide Astana - Premier Tech) abwehren.
Am Ende gelang dem Deutschen die überraschende Titelverteidigung. Der Tagessieg in Levens ging nach 93 turbulenten Kilometern an Magnus Cort (Education First -Nippo), der die beiden Franzosen Christophe Laporte (Cofidis) und Pierre Latour (Total Direct Energie) im Sprint der Favoritengruppe schlug.
Auch wenn Roglic auf der ersten Runde schon einmal gestürzt war, verlief die verkürzte letzte Etappe zunächst nach dem vorgesehenen “Drehbuch“: Eine Spitzengruppe setzte sich ab und Roglics Mannschaft kontrollierte gemeinsam mit anderen Teams das Geschehen. Als jedoch der Mann im Gelben Trikot in der letzten Abfahrt des Tages rund 25 Kilometer vor dem Ziel abermals stürzte und sein Rad wechseln musste, wurde das Rennen auf den Kopf gestellt. Roglics Teamkollegen bekamen erst verzögert von dem erneuten Malheur ihres Kapitäns mit und ließen sich zurückfallen. Zu diesem Zeitpunkt war das Feld schon um knapp 30 Sekunden enteilt und machte keine Anstalten zu warten.
Schachmann mit "gemischten Gefühlen"
Bora - hansgrohe war zu diesem Zeitpunkt in voller Stärke bei der Nachführarbeit zu sehen. “Ich habe gemischte Gefühle, weil Roglic gestürzt ist. Ich weiß nicht, ob es sein Fehler war. Ich kann nur sagen, dass ich vor der ersten Zieldurchfahrt auch einen Defekt hatte und da hat auch niemand gewartet. Dann ist Primoz gestürzt und wir haben gewartet. Dann ist er erneut gestürzt, aber wir hatten eine starke Spitzengruppe vorne und wir wollten um den Etappensieg fahren“, schilderte Schachmann seine Perspektive auf die Ereignisse.
Als Roglic nach wenigen Kilometern all seine Teamkameraden aufgebraucht hatte und allein die Lücke zum Feld schließen musste, rutschte Schachmann auf einmal ins virtuelle Leadertrikot. “Das habe ich nicht erwartet, es war ein verrückter Tag. Ich weiß nicht, ob ich glücklich sein kann. Es ist nicht schön so zu gewinnen“, musste der Titelverteidiger im Ziel erstmal seine Gefühle ordnen. Auf den letzten Kilometern wehrte der 27-jährige souverän die Angriffe von Vlasov und Izagirre abwehren, die in der virtuellen Gesamtwertung nur 19 und 23 Sekunden zurücklagen.
Dabei erhielt Schachmann tatkräftige Unterstützung seines Landsmanns Simon Geschke (Cofidis), der einerseits seinem Kapitän Laporte die Sprintankunft vorbereiteten half, andererseits mit seinem hohen Tempo Angriffe des Astana-Duos im Keim erstickte. Als die Favoritengruppe geschlossen auf den letzten Kilometer ging, hatte Schachmann, wie Geschke aus Berlin stammden, den Gesamtsieg abgesichert.
Roglic ein fairer Verlierer
Nutznießer dieser Kämpfe um den Gesamtsieg war Cort, der sich 250 Meter vor dem Ziel geschickt platzierte und die anderen Fahrer nicht mehr passieren ließ. “Die letzten Kilometer waren hektisch, weil es keine Züge gab, um die Geschwindigkeit und Position zu behaupten. Es ging darum, wer sich mit den Ellenbogen durchsetzen konnte. Ich habe das Ziel auf der vorausgehenden Runde gesehen und gedacht: Wenn ich als erster durch die leichte Kurve 150 Meter vor dem Ziel komme, wird mich keiner überholen können. Das ist mir gelungen“, beschrieb der Däne den ungewöhnlichen Sprint der Rumpfgruppe.
Nachdem Roglic mit 3:08 Minuten Rückstand ins Ziel fuhr, gratulierte er Schachmann per Faustschlag - ein Zeichen des Sportgeistes des Slowenen. Zu den Umständen seiner Stürze hat er sich bislang noch nicht geäußert. Den Gesamtsieg holte sich Schachmann mit 19 Sekunden Vorsprung auf Vlasov und 23 auf Izagirre. Der Schweizer Gino Mäder (Bahrain Victorious) rückte noch auf Rang zehn vor. Roglic fiel auf den 15. Platz zurück
Als “Trostpflaster“ gewann Roglic die Sprintwertung der Fernfahrt. Das Bergtrikot ging an Anthony Perez (Cofidis). Neben dem zweiten Gesamtrang holte sich Vlasov auch die Nachwuchswertung.
So lief das Rennen:
Nach dem Start der auf 93 Kilometer verkürzten Schlussetappe dauerte es eine Weile, bis sich eine Spitzengruppe etablieren konnte. Die erste Bergwertung gewann Dylan van Baarle (Ineos Grenadiers), während sich Aurélien Paret Peintre (AG2R - Citroën) die erste Sprintwertung sicherte. Durch eine Bonussekunde dabei konnte sich Lucas Hamilton (BikeExchange) in der Gesamtwertung an Tiesj Benoot (DSM) vorbei auf den vierten Platz schieben.
Mit einer Attacke 60 Kilometer vor dem Ziel initiierte Jonas Rutsch (Education First - Nippo) eine Spitzengruppe. Mit dem jungen Deutschen konnten Warren Barguil (Arkéa - Samsic), Sven Erik Byström (UAE Team Emirates), Laurens De Plus (Ineos Grenadiers), Stefano Oldani (Lotto Soudal), Tim Declercq (Deceuninck - Quick-Step), Edward Theuns (Trek - Segafredo) und Cees Bol (DSM) einen Maximalvorsprung von einer Minute auf das Feld herausarbeiten.
Auf der folgenden Passage der Côte de Duranus bildete sich eine Verfolgergruppe um Luis Leon Sánchez und Omar Fraile (Astana - Premier Tech), Matteo Trentin (UAE Team Emirates), Julien Bernard (Trek - Segafredo), Krists Neilands (Israel Start-Up Nation), Michael Matthews (BikeExChange), Damien Touzé (AG2R - Citroën), sowie Geschke, die im Laufe der letzten Runde zur Spitze aufschließen konnte. Die zweite Sprint- und die zweite Bergwertung gewann Barguil.
In der Abfahrt zur letzten Runde stürzte Roglic erneut
Auf der Abfahrt zur letzten Runde stürzte Roglic zum zweiten Mal und fiel in eine Gruppe abgehängter Sprinter zurück. Das Feld war nicht bereit, auf ihn zu warten und verfolgte stattdessen die große Spitzengruppe. Roglic konnte die Lücke dennoch zunächst bis auf 20 Sekunden schließen. In Sichtweite zum Feld gingen ihm aber die Helfer aus und er fiel schließlich aussichtslos zurück. Währenddessen setzten sich Rutsch, Byström, Barguil und Bernard nochmal kurz von den restlichen Ausreißern ab, wurden aber am Fuße der letzten Steigung vom Feld gestellt.
Bei der letzten Passage der Côte de Duranus versuchten Vlasov und Izagirre Schachmann durch abwechselnde Angriffe in die Mangel zu nehmen. Just zu dem Zeitpunkt, in dem der Bora-Kapitän das erste Mal müde aussah, spannte sich Geschke vor das Feld und pilotierte die Gruppe über die Bergwertung. Vier Kilometer vor dem Ziel konnten sich Neilands, Guillaume Martin und Gino Mäder (Bahrain Victorious) nochmal aus dem Feld absetzten.
Durch die Tempoarbeit von AG2R - Citroën wurden sie kurz vor dem letzten Kilometer aber wieder eingeholt. Cort setzte sich kurz vor der Zieleinfahrt geschickt an die Spitze des Feldes und war von der letzten Kurve an nicht mehr zu überholen.
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