Es heißt, der erste Eindruck zählt, aber der letzte Eindruck bleibt.
Ende Januar, es war das letzte Spiel für die deutschen Handballer bei der WM, hatten sie sich mit einem letzten Eindruck aus Ägypten verabschiedet, den man als fürchterlich bezeichnen darf. »Verdammt noch mal, wir haben in ein paar Minuten vier technische Fehler gemacht – und einer dümmer als der andere«, motzte Bundestrainer Alfred Gíslason damals, noch während die Partie gegen Polen lief.
Das 23:23-Unentschieden war für die Deutschen der Schlusspunkt eines WM-Turniers, das mit einem historisch schlechten zwölften Platz in die Geschichtsbücher des DHB einging.
Seither sind sechs Wochen vergangen. Genug Zeit für den Bundestrainer, um vielleicht ein paar Telefonate zu führen, eine WM-Analyse zu erstellen, diese zu präsentieren. Aber das war es dann auch. Keine Testspiele, keine Lehrgänge. Dabei steht jetzt bereits das nächste Turnier an, das vielleicht noch wichtiger ist, als die WM: Es geht um die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Kann die deutsche Mannschaft beim Qualifikationsturnier in Berlin einen neuen, besseren Eindruck hinterlassen?
Der wichtige Vorentscheid beginnt am Freitagnachmittag für die deutschen Handballer, die anders als bei der WM diesmal in Bestbesetzung antreten werden. Die Abwehrbosse Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek aus dem Innenblock, der Routinier Steffen Weinhold, der Spielgestalter Fabian Wiede – sie alle hatten in Ägypten gefehlt, aus Sorge vor der Corona-Pandemie oder aus Verletzungsgründen. Ihr Fehlen wurde immer wieder als der Hauptgrund für die schwachen Auftritte genannt.
Nun sind sie wieder da. Das bedeutet auch, Ausreden gibt es diesmal keine. Jetzt zeigt sich, wo die deutschen Handballer im internationalen Vergleich stehen. »Ich freue mich, dass es am Wochenende um die Wahrheit geht«, sagte Bob Hanning und wählte die für ihn üblich großen Worte. Aber es soll auch um etwas Großes gehen, denn die deutschen Handballer wollen nicht nur die Olympia-Qualifikation überstehen, sie wollen in Tokio auch um die Goldmedaille spielen. Das ist zumindest die Zielvorgabe, die die DHB-Spitze um Hanning ausgegeben hatte.
»Die Zielsetzung, sportlich erfolgreich zu sein, haben wir schon vor sieben oder acht Jahren artikuliert«, sagte Hanning in den vergangenen Tagen, und zur Kritik an der überzogenen Zielvorgabe: »Ich weiß nicht, wieso man von diesem Ziel abweichen sollte, nur weil man ihm näherkommt.«
Hanning dürfte mit »näherkommt« wohl den Zeitpunkt des Turniers gemeint haben, denn dem Ziel »Olympia-Gold« nähergekommen ist die DHB-Auswahl nach einer enttäuschten WM und einem Trainerwechsel im vergangenen Jahr eher nicht.
Aber das soll nun der Vergangenheit angehören. Jetzt ist Bundestrainer Gíslason erst mal erleichtert über die Rückkehr seiner Stars. »Das ist sehr wertvoll, weil wir jetzt viel mehr Möglichkeiten haben, vor allem im Abwehrbereich. Wir haben mit den Rückkehrern extrem viel mehr Erfahrung, um diese schweren Spiele zu bestreiten«, sagte er.
Der Stellenwert der Abwehr
Der Auftaktgegner ist Schweden (15.15 Uhr), der WM-Zweite von Ägypten und ein Team, das mit Tempohandball begeistert. Der nächste Gegner folgt am Samstag (15.35 Uhr), Slowenien, nicht die größte Nummer im Welthandball, zuletzt auf Augenhöhe mit der DHB-Auswahl. Und am Sonntag kommt es zum abschließenden Duell gegen Außenseiter Algerien (15.45 Uhr). Nur die besten zwei Teams dürfen zu den Sommerspielen nach Tokio, die im Juli stattfinden sollen.
Die Rückkehr der Abwehrstars – die der Bundestrainer bestens aus seiner Zeit beim THW Kiel kennt – gibt Hoffnung, dass die DHB-Auswahl dazugehört. Eine funktionierende Abwehr kann das Niveau einer ganzen Mannschaft heben, und mit dem eingespielten Kieler Duo Pekeler/Wiencek als Mittelblock wird die DHB-Auswahl nicht nur Stabilität bekommen. Im Optimalfall gewinnt auch das Tempospiel an Kraft: Ein starker Innenblock, der Angriffe des Gegners unterbindet und Bälle erobert, ist gleichzeitig auch der Ausgangspunkt für schnelle Gegenangriffe – für leichte Tore. Genau die hatten in Ägypten gefehlt.
Diese Überfalltaktik ist auch ein Mittel, das die Schweden gern nutzen. Es könnte ein schnelles Spiel werden, und eins, das Bundestrainer Gíslason sehr gern gewinnen möchte. »Wenn wir das schaffen, können wir mit mehr Selbstvertrauen und etwas mehr Lockerheit ins zweite Spiel gehen«, sagte er.
Für den DHB ist die Qualifikation für die Olympischen Spiele sehr wichtig, vielleicht sogar wichtiger als die jüngste WM, zumal die Austragung inmitten der Corona-Pandemie massiv in der Kritik gestanden hatte. Die Pandemie wird im Sommer noch immer nicht vorbei sein, aber mit der zunehmenden Zahl an Impfstoffen gibt es nun eine Perspektive, auch was Großereignisse betrifft.
Der deutsche Handball braucht die Aufmerksamkeit rund um das Großevent für seine Sportart. Während der Pandemie und den Einschränkungen für den Amateursport hat der Handball wie der gesamte Sport an seiner Basis zu kämpfen. »Aus unseren Landesverbänden und Vereinen bekommen wir viele Hilferufe, dass ohne klassische Angebote wie Handballtraining zahlreiche Mitgliedschaften hinterfragt werden«, sagte Mark Schober, Vorstandsvorsitzender des DHB zu Beginn des Jahres.
Bob Hanning sprach jüngst davon, dass bald ein Vereinssterben drohen könnte, »wie der Handball ihn noch nie erlebt hat«. Hanning und die Superlative, seit 2013 sind sie sein Stilmittel, so lang ist er bereits als Vizepräsident für den DHB tätig. Vielleicht wird eine Zeit kommen, in der man seine Sprüche vermissen wird. Langweilig waren sie jedenfalls nie. In diesem Jahr wird sich der 53-Jährige aus seinem Amt beim DHB zurückziehen. Er will mit einem Erfolg gehen, mit dem großen Wurf bei den Sommerspielen in Tokio. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
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