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Agit Kabayel gewinnt EM-Titel: Ein surrealer Boxkampf, wie es ihn in Deutschland ewig nicht gab - n-tv NACHRICHTEN

Schwergewichtsboxer Agit Kabayel kürt sich in seiner Heimat Bochum zum Europameister. Der 30-Jährige schlägt vor mehr als 3000 Fans im RuhrCongress Agron Smakici aus Kroatien durch Technischen K.o. in der dritten Runde. Sein Promoter sieht einen "Jahrhundertkampf" - ein Spektakel ist es allemal.

Der Sportstadt Bochum droht am späten Samstagabend der endgültige Tiefschlag. Am Nachmittag war die SG Wattenscheid 09 in der letzten Minute k.o. gegangenen, wenig später schickte der FC Schalke 04 den VfL nicht nur auf die Bretter, sondern auch noch auf den letzten Tabellenplatz der Fußball-Bundesliga - und dann wankte plötzlich auch Agit Kabayel bedrohlich. Im EM-Fight in seiner Heimatstadt war der 30-Jährige nur einen Schlag vom Abgrund entfernt. Er geriet in Runde zwei in einen wilden Schlaghagel des Kroaten Agron Smakici und war für einen Moment weg.

"Es hat kurz geblinkt, ich habe schwarzgesehen, aber bin nicht umgefallen", bekannte Kabayel. Auf den Beinen hielt sich der Lokalmatador in dieser dramatischen zweiten Runde allerdings nur mit Hilfe der Ringseile, die ihn nach mehreren linken Aufwärtshaken des Rechtsauslegers Smakici davor bewahrten, hinten überzukippen. Der Referee wertete das Ganze durchaus regelgerecht als Niederschlag, zählte Kabayel an - und rettete diesem damit womöglich den Abend. Denn die ringrichterliche Intervention bescherte Kabayel wichtige Sekunden, um sich zu sammeln. Smakicis Großangriff dagegen wurde just in dem Moment unterbrochen, als sich der 32-Jährige auf den in den Seilen hängenden Kabayel stürzen wollte. Des einen Glück, des anderen Pech.

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Am Ende strahlte der Bochumer Champ.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wie "im Film" habe er sich gefühlt, ließ Kabayel die wohl schwersten Minuten seiner Boxkarriere später Revue passieren: "Es war ein echtes Rocky-Feeling." Da passte es ins Bild, dass überall Werbung für den Kinofilm "Creed III" ausgestellt war, einen Ableger der Rocky-Reihe. Wie Sylvester Stallones ewiger Boxheld schien Kabayel total am Ende. Wie Rocky erhob er sich, fightete erbarmungslos zurück. Und genau wie im Kino stand auch in Bochum die "edle Kunst der Selbstverteidigung", wie das Boxen genannt wird, nicht auf der Tagesordnung. Die "Sweet Science", Treffen, ohne getroffen zu werden, sie wurde von den Kämpfern schlicht ignoriert. Kabayel vs. Smakici - das war ab Runde zwei einzig ein Kampf des Willens, eine brutale Abnutzungsschlacht.

Hör mal, wer da hämmert

Eine, in der Kabayel die Herrschaft über seine Beine zurückgewann. Die folgenden Geschosse seines Kontrahenten steckte der 1,91-Meter-Mann dank seines beeindruckend harten Kinns weg. Zum Ende des zweiten Durchgangs wirkte es, als habe Smakici sein Pulver verschossen. Kabayels Rechte schlug im Gesicht des Kroaten ein. Der RuhrCongress in Bochum tobte. Eine Minute Pause.

"Da ging es mir plötzlich wieder gut. Mein Trainer konnte das nicht glauben, aber mir ging es wieder gut", sagte Kabayel nach dem Kampf - gezeichnet mit einem Cut über dem rechten Auge. Eben noch kurz vor dem Knockout, marschierte der 107 Kilogramm schwere Pott-Koloss in der Dritten wieder auf den Gegner zu. Smakici hatte seine Batterien auf dem Schemel nicht aufladen können. Der 110 Kilogramm schwere 1,98-Meter-Hüne schnaufte aus allen Schächten, geriet nun selbst in ein Faustgewitter. In zwei Minuten und 37 Sekunden hämmerte Kabayel auf Smakici ein - bis der Ringrichter dazwischen ging und die einseitig gewordene Klopperei unter dem Jubel der 3000 Zuschauer in der Halle stoppte. Es war die einzig richtige Entscheidung.

Minutenlang saß der geschlagene Smakici in seiner Ecke, war nicht in der Lage aufzustehen, während Kabayel die Ringpfosten erklomm. Wie beseelt. Wie befreit. Kohleberge fielen von ihm ab. Er hatte nicht nur sein Heimspiel gewonnen, nicht nur den vakanten EM-Titel, er hatte es auch seinen Kritikern gezeigt. Diese hatten ihm vorgeworfen, ein langweiliger Boxer zu sein. Gegen Evgenios Lazaridis und Kevin Johnson war Kabayel 2020 und 2021 über die volle Distanz gegangen und hatte "nur" Punktsiege gefeiert. Immer wieder betonte der Boxer aus dem Revier an diesem Abend, wie unfair er das Reduzieren auf diese Duelle fand.

Die dunklen Jahren sind vorbei

"Ich habe heute gezeigt, dass ich nicht nur einstecken kann, sondern auch austeilen", sprudelte es auf der Pressekonferenz aus ihm heraus. "Ich bin bereit, bereit für alles. Sollte jemand anrufen und mich für einen WM-Kampf haben wollen, ich bin bereit." Kabayel strebt nach schwierigen Jahren nach höheren Weihen, nach den höchsten. "Bochum, wir sind Europameister! Jetzt greifen wir die Weltmeisterschaft an. Ich danke euch allen von Herzen", rief er nach dem 23. Sieg seiner Laufbahn (15 Siege durch K.o.) im Ring-Interview unter tosendem Jubel. Und nicht nur der Kämpfer selbst war auf Adrenalin, auch Promoter Ulf Steinforth, Kopf des SES-Boxstalls, bekam sich vor Glück kaum ein, erklärte Bochum nach einem "Jahrhundertkampf" kurzerhand zur "neuen Boxhauptstadt Deutschlands".

"So einen Kampf habe ich in meinen 25 Jahren Boxsport noch nicht gesehen", jubilierte der 55-Jährige noch am Ring. Umstehende Routiniers der Box-Berichterstattung wollten nicht widersprechen. Später, als Kabayel sich abgekühlt hatte und Smakici auf dem Weg ins Krankenhaus zu einer vorsorglichen Kontrolle war, rief Steinforth die "Geburt eines neuen deutschen Boxstars" aus. Und dennoch bemühte sich der Promoter in seiner Euphorie auch, die Hypebremse zu treten. Einen WM-Kampf in Bälde sieht Steinforth noch nicht. "Lasst den Jungen jetzt erstmal regelmäßig kämpfen", sagte er. In den vergangenen drei Jahren stand Kabayel stets nur einmal im Ring. Das soll sich unbedingt ändern. "Viermal", so sagte Kabayel, würde er gerne pro Jahr kämpfen, um die weiteren Schritte zu machen.

Für den 30-Jährigen soll es jetzt richtig weit nach oben gehen. Die dunklen Zeiten will er hinter sich lassen. Auch über die sprach er am späten Samstagabend. "Erst der geplatzte WM-Kampf gegen Tyson Fury (Ende 2020, d.Red.) als die Verträge schon gemacht waren, dann die Corona-Zeit, die Einsamkeit, das war nicht leicht für mich", gestand er. Wirklich ans Aufhören dachte Kabayel nicht, aber die Situation setzte ihm dennoch arg zu.

Durch Bochum hallen die Schläge

Nun ist er Europameister, zum zweiten Mal in seiner Karriere, schon von 2016 bis 2019 hatte Kabayel den blau-goldenen Gürtel der Europäischen Box-Union (EBU) inne. Ein prestigeträchtiger Titel, den einst schon Faustkampf-Größen wie Vitali und Wladimir Klitschko, Lennox Lewis, Max Schmeling oder Georges Carpentier mit Stolz trugen. Auch der amtierende Schwergewichts-König Tyson Fury war früher Europameister. Kämpfe gegen die ganz Großen? Kabayel traut sie sich zu. "Mit mir ist zu rechnen", sagte er in der Nacht zu Sonntag. Es war nicht nur eine Selbsteinschätzung, sondern auch eine Kampfansage ohne jede Furcht. "Fury? Warum nicht!"

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In den Weltranglisten der Verbände IBF (8.), WBO (13.) und WBA (13.), deren Titel zurzeit der Ukrainer Oleksandr Usyk hält, stand Kabayel schon vor seinem Sieg über Smakici in den Top 15. Platzierungen, die ihn zu einem potenziellen WM-Herausforderer machen.

Zukunftsmusik. Agit Kabayel genoss den Moment, bevor auch er sich ins Krankenhaus aufmachte, um seinen Cut nähen zu lassen. Der "Ruhrpott-Junge" war bei seinem ersten Auftritt auf heimischem Boden stilecht zu Herbert Grönemeyers "Bochum" zum Ring marschiert. "Du hast 'n Pulsschlag aus Stahl", heißt es in der musikalischen Liebeserklärung an die Stadt tief im Westen: "Man hört ihn laut in der Nacht." An diesem Abend hörte man in Bochum viele Schläge.

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